Martyrium der Heiligen Barbara in der Stadtkirche Schwaigern, Jerg Ratgeb 1510

Bethlehemitischer Kindermord, Duccio di Buoninsegna (1308-1311)

Fegefeuerdarstellung in Ablaßbildchen, Ende 19. Jh. Inv.-Nr. 1368

Der Teufel als Kinderräuber . Aus: Ritter vom Turn, 1493

Kirchenmalerei

und kirchliche Kunst

„Das verbreitetste und beliebteste literarische Genre in dieser Epoche [des Mittelalters] sind die Heiligenleben (Viten); das typischste Beispiel für die Architektur ist der Dom, die Kathedrale; in der Malerei überwiegen in der Frühzeit die Ikonen, Darstellungen biblischer Szenen und Personen, und auch in der Bildhauerkunst treten uns Personen der Heiligen Schrift entgegen.“ Gurjewitsch, Aaron J.: Das Weltbild des mittelalterlichen Menschen. 4. Aufl. München 1989, S. 9

Die wichtigste Bildungs- und Bilderinstitution war Jahrhunderte lang die Kirche. Insbesondere romanische Kirchen waren oft völlig mit Bildern aus der biblischen Schöpfungs- und Heilsgeschichte ausgemalt. Aus heutiger Sicht auffällig wie befremdlich ist dabei die seit dem 12. Jahrhundert allenthalben zu Tage tretende Vorliebe für explizit-detaillierte Darstellung grausamer Szenen religiös fundierter Gewalt („Abrahams Opfer“, „Kain und Abel“, „Kindesmord zu Bethlehem“, Passion Christi, Martyrien, Apokalypse, „Jüngstes Gericht“ und Höllendarstellungen). Diese Themen finden sich zudem nicht nur in der kirchlichen Wandmalerei (und später in Bildern und Skulpturen), sondern ebenso in Passionsspielen, Traktattexten, Legenden und anderen erbaulichen Texten. Bildliche Darstellungen waren lediglich die für Kinder am leichtesten zugänglichen Medien.

Heute wird dieses Phänomen meist als Reflex auf die von Angst, Gewalt, Krankheit und grausamen öffentlichen Körperstrafen und Hinrichtungen geprägten Lebensverhältnisse gedeutet.
Folgende Faktoren dürften zu dieser Entwicklung wesentlich beigetragen haben: einmal der von amtskirchlicher Seite geförderte Märtyrerkult, den man einerseits als Reaktion auf die damals aktuellen Ketzerbewegungen (Katharer u.a.) zu funktionalisieren versuchte und der gleichzeitig Grundlage für den ökonomisch einträglichen Reliquienkult (samt Wallfahrtstourismus) war und zum anderen die Etablierung der Lehre vom Fegefeuer (Purgatorium) Ende des 12. Jahrhunderts, wobei sich die leidgeprüften Märtyrer nicht nur als standhafte Glaubenszeugen, sondern auch als kompetente und mächtige Fürbitter für die im Fegefeuer schmachtenden „armen Seelen“ anrufen ließen.

Im Hinblick auf die Wirkung der gewaltgesättigten Darstellungen auf Kinder dürfte es allerdings relativ müßig sein, darüber zu spekulieren, ob diese Gewaltdarstellungen aus theologischer Warte symbolisch gemeint (und kodiert) waren, ob sie Spiegel gesellschaftlicher Mentalitäten und Bedürfnisse – etwa einer Leidensmystik im Sinne einer imitatio Christi - oder gar als subversive Produktion von „Gewaltüberschüssen“ interpretiert werden sollten. Ein tiefer und nachhaltiger Eindruck der drastischen und detaillierten bildlichen Darstellung der an den Heiligen verübten Grausamkeiten gerade auf Kinder darf (damals wie heute) als evident angenommen werden.
„Heilige werden einzeln oder in großen Gruppen geköpft, aufgespießt, mit Pfeilen gespickt, ausgepeitscht, auf Räder geflochten, geröstet und in Öl gesotten, ihre entblößte Haut wird verbrannt, abgezogen und mit eisernen Stiegeln zerissen, Gedärme werden herausgewunden, Augen ausgestochen, Zungen ausgerissen, Brüste amputiert.“
Tammen, Silke: Gewalt im Bilde. In: Manuel Braun (Hrsg.): Gewalt im Mittelalter. Realitäten – Imaginationen. München 2005, S. 307-341, hier S. 317

Im 14. Jahrhundert wurden erste kritische Stimmen laut, die allerdings nicht die Grausamkeit, sondern die Schönheit und Nacktheit der Heiligendarstellungen kritisierten, weil diese insbesondere noch ungefestigte Jugendliche zu unziemlichen Gedanken anregen könnte.
Die auf Angst basierende pädagogische Wirkung wurde auch in dieser Zeit noch von prominenten Klerikern ausdrücklich befürwortet und belegt, wie weit die damaligen Vorstellungen über Jugendschutz von den unseren entfernt sind.
Der Dominikaner-Kardinal Giovanni Dominici empfahl 1403, schon „Knäblein“ mit dem Anblick der ermordeten Kindlein von Bethlehem zu konfrontieren, damit sie schon frühzeitig Angst vor Waffen und bewaffneten Männern bekämen. Und kleine Mädchen sollten mit dem Bild der „11.000 Jungfrauen“ aufwachsen (die als Pilgerinnen angeblich in Köln von den Hunnen ermordet wurden), um nach deren Vorbild zu predigen und zu kämpfen. (Vgl. Tammen, S. 327/328).

Der Augustiner Andrea Biblia befürwortete ausdrücklich Märtyrerdarstellungen auf öffentlichen Plätzen und an Kirchenwänden, weil sie den Betrachtern „leicht ein leuchtendes Bild ihrer Heiligkeit bieten. Der eine durch Steine zerfleischt, ein anderer mit Geißeln geschlagen, wieder ein anderer von Pfeilen durchbohrt, ein vierter durch Skorpione gepeinigt, wenn wir schließlich alle übrigen auf die vielfältigsten Marterstrafen gequält sehen, so erleiden wir selbst in unserer Seele dieselben Foltern und erdulden sozusagen dieselben Qualen.“ (Zit. n. Tammen, S.328)

Wie drastisch noch Ende des 15. Jahrhunderts die erzieherischen Mittel selbst in den gehobenen Kreisen, die Bücher kaufen und lesen konnten waren, zeigen eindringlich die Strafbeispiele und Illustrationen des frühen Erziehungsratgebers eines Ritters vom Turn: Eitlen, putzsüchtigen Jungfrauen sticht Satan glühende Hutnadeln ins Gehirn, und renitente Kinder werden buchstäblich vom Teufel geholt.

In der christlichen Kultur früherer Zeiten haben Gewaltdarstellungen zwar eine ambivalente, aber offensichtlich unverzichtbare Bedeutung - einerseits als Opfergewalt (Märtyrer) und anderseits als Droh- und Strafgewalt Gottes (Gottesgerichte, Fegefeuer, Hölle usw.). Dies bedeutet aber auch, dass Gewalt und Gewaltdarstellungen in einen religiösen Bezugsrahmen eingebunden waren, der es erlaubte, dass die vielfältigen Aspekte von Gewalt einerseits sehr offen thematisiert, ausgelebt und verarbeitet werden konnten, andererseits aber ihre Rezeption gleichzeitig auch kollektiv kontrolliert wurde.

Die romanischen Kirchen und Kapellen, oft bis in den letzten Winkel farbenprächtig mit fabulierfreudiger Fülle ausgemalt, müssen angesichts der Armut und Dürftigkeit der damaligen Lebensverhältnisse geradezu als visuelle Wunderwelten, als überwältigende Phantasiemaschinen gewirkt haben. Ab dem 14. Jahrhundert traten in den Kirchen zunehmend Gemälde und Skulpturen an die Stelle der Wandmalereien.

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Literaturhinweise