Kolporteur, David Man(n)asser 1630

Grafikverkauf an einem Marktstand, Kupferstich von Jaques Callot 1618

Heiliger Christophorus, kolorierter Block- oder Tafeldruck 1423.
Text der Inschrift: „Wann immer Du das Antlitz des Christophorus betrachtest, wirst Du fürwahr an diesem Tag keines schlimmen Todes sterben.“
(„Schlimmer Tod“ bedeutete damals ein nicht durch Beichte und Sterbesakramente vorbereiteter Tod. Das Blatt wurde vermutlich an der Innenseite von Haustüren angebracht.)

"Briefmaler" (Kolorateur) aus dem „Ständebuch“ von Jost Amman 1568

Flugblätter

Flugblätter sind keine literarische Gattung, sondern ein eigenständiges Medium. Ihre Blütezeit lag im 15./16. Jahrhundert. Es sind illustrierte, ein- oder zweiseitig bedruckte „Einblattdrucke“. Schon vor der Erfindung des Drucks mit beweglichen Lettern („Buchdruck“) sind aus dem 15. Jahrhundert Flugblattdrucke („Bilddrucke“ oder „Holztafeldrucke“) von ganzseitigen Holzschnitten erhalten, die keine oder wenig Schrift enthielten. Flugblätter wurden schon früh auch ein- oder mehrfarbig koloriert zu erheblich höheren Preisen angeboten. Die Kolorierung erfolgte entweder mit Hilfe von Schablonen oder individuell von Hand.

Meist bestehen die Flugblätter aus einer Mischung von bildlichen und textlichen Elementen. Die Texte weisen in der Regel typische Elemente mündlich tradierter Dichtung auf, wie Reime und sogar Melodieverweise zum Vorsingen. Erzählerisch-dramaturgisch sind sie meist einfach aber streng aufgebaut - meist nach dem Prinzip „vorher/dann/nachher“, bzw. Ursache und Folge (z.B. als Verbrechen und Strafe). Diese „antithetische Methode“ hat eine lange didaktische und rhetorische Tradition, die bis heute, z.B. in Predigten („Exempel“) beliebt ist.

Inhalte der Flugblätter waren:
• Gebete
• Heiligenviten (Legenden)
• volksmedizinische Rezepte und Ratschläge für alle Lebenslagen
• Märchen, Sagen
• Schwänke, Satiren
• Lieder
• Wunderzeichen („Prodigien“) und Unglücke
• Kalender
• Verbrechen und deren Sühne, öffentliche Hinrichtungen
• Nachrichten über aktuelle Ereignisse, Kriege, Katastrophen
• politische Pamphlete
Die Autoren und Graphiker blieben meist anonym. Zu den Autoren gehörte z.B. Hans Sachs; unter den Holzschneidern befand sich auch Albrecht Dürer.

Vertrieben wurden Flugblätter und Flugschriften vor allem durch „Kolporteure“ (von frz. col = der Nacken und porter = tragen) – auch als „fliegende Händler“ oder „Hausierer“ bezeichnet, die ihre Verkaufsware „auf dem Rücken“ trugen. Spätestens seit dem 16. Jahrhundert wurden die Grafiken auch auf Märkten und von Bänkelsängern angeboten und von Hausierern bis in die entlegensten Behausungen gebracht.

Flugblätter waren in dieser Zeit nicht primär für die individuelle, private Lektüre bestimmt, sondern wurden laut in der Öffentlichkeit oder in Gruppen vorgelesen, vorgesungen, angehört, angeschaut und diskutiert; sie gingen von Hand zu Hand. Die Rezeption der Flugblätter war demnach auch eine soziale Aktion. Die Texte selbst enthalten oft Aufforderungen wie „lies oder lass Dir lesen“ oder auch „zu singen nach der Melodie ...“. Neben der bildlich-sprachlichen Information konnten Flugblätter, insbesondere solche mit religiösen Inhalten, auch noch andere Funktionen erfüllen, so dienten sie als Bildschmuck oder als Instrument von Bildmagie (Heilsbringer, Segensspender, Abwehrmittel usw.). Dazu wurden Drucke mit entsprechenden Motiven an Haus, Schrank- und Stalltüren oder Truhendeckeln angebracht.

Ein gutes Beispiel für den multifunktionalen Gebrauchswert der Flugblätter bieten die Heiligenviten oder „Legenden“: Sie offerierten dem Christenmenschen nicht nur religiöse Erbauung und Bestärkung des Glaubens, sondern auch auffällig viel und detailliert dargestellte Gewalt. Daneben enthielten die Biographien der Heiligen aber auch Exotik, Erotik und Abenteuer. Selbst der Kern des christlichen Geschehens, das Martyrium Christi und seine Kreuzigung, wurden zum Anlass und zur Legitimation für die exzessive Inszenierung von Torturen. Die Flugblätter setzen hierbei die Tradition der Kirchenmalerei fort. Ein Beispiel für den Märtyrerkult ist dieser völlig textlose, schwäbische Holzschnitt über die Torturen des Heiligen Erasmus aus der der Zeit um 1455-65.

Die frühesten Druckerzeugnisse – Jahrzehnte vor der Einführung des Drucks mit beweglichen Lettern („Buchdruck“) - waren sogenannte Tafel- oder Blockdrucke, d.h. es waren keine in Rahmen gespannte bewegliche Lettern, sondern Holzschnitte ohne oder mit wenig Text, die aus einer Holzplatte geschnitzt waren. Mit Hilfe von Schablonen, Pinseln und Stempeln konnten diese Drucke durch eigene Spezialisten auch koloriert werden.

Schon die frühesten erhaltenen Blockdrucke weisen die widersprüchliche Zwiespältigkeit (oder Vielfalt) der späteren Massenmedien auf: Sie bieten sowohl kulturell positiv bewertete, d.h. von der Obrigkeit erwünschte Inhalte wie z.B. Erbauung und Belehrung als auch unerwünschte Inhalte wie z.B. Unterhaltung und Zerstreuung.

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