Reisende Komödianten, Carl Spitzweg um 1838

Puppenspielszene aus dem 18. Jahrhundert mit Pulcinella. Radierung um 1770.

Hans Wurst mit Pritsche und "gescherten" Haaren, eine vom österreichischen Schauspieler Josef Anton Stranitzky erfundene Figur.
Dies ist ein sogenanntes

Kinder- und Kaspertheater

In einer Epoche, deren Alltag von der Allgegenwart des Films und Fernsehens geprägt ist, fällt es schwer sich ein
zutreffendes Bild von der großen Bedeutung und Vielfalt des Theaters in früheren Zeiten zu machen. Schauspielaufführungen wie Mirakel- und Mysterienspiele, Passionsspiele in der Osterzeit, Krippenspiele zu Weihnachten, Possen und Fastnachtsspiele während des Karnevals waren, zum Teil schon seit dem Mittelalter, ritueller Bestandteil des kirchlichen und weltlichen Fest- und Unterhaltungskalenders. Jenseits der höfischen Theaterkultur zogen Wanderbühnen über das Land, lokale Laienschauspieler traten auf Plätzen, in Kirchen und Wirtshäusern auf. Kinder waren bis ins 19. Jahrhundert hinein selbstverständliche Mitspieler und Zuschauer derartiger Schauspiele.
Das 19. Jahrhundert war die Blütezeit vieler Theaterformen, sei es als Laien-, Bauern-, Schul- und Freilufttheater, als
urbanes Unterhaltungstheater in Varietés, Theatercafés und Kabaretts, als Boulevardtheater in Vaudevilles und Music Halls oder in Form von Singspielen und Operetten.
Im Zuge dieser Ausdifferenzierung wurden kindliche Zuschauer von den allgemeinen Theatern zunehmend ausgegrenzt und es entwickelten sich spezielle Formen des Kindertheaters, deren vorläufigen Endpunkt das Genre des Weihnachtsmärchens darstellte.

Der Begriff Kindertheater ist recht unpräzise, da er alles bezeichnen kann, egal ob es sich um Theater für Kinder oder von Kindern, Puppen-, Papier-, Laien- oder Schauspielertheater handelte. Der Begriff Puppentheater wird für alle Arten von Schauspielen mit Puppen verwendet, so z.B. für Marionetten, Stab- oder Handpuppen. Archäologische Funde und ethnologische Studien legen den Schluss nahe, dass Puppen schon in einem sehr frühen Stadium der Menschheitsgeschichte in Gebrauch waren. Man vermutet, dass sie zunächst vor allem als Fetische und bei magischen Riten benutzt wurden. Die bisher frühesten Zeugnisse für Puppenspiele im eigentlichen Sinne stammen aus China. In Europa sind Puppenspiele seit dem Mittelalter belegt, als Gaukler damit auf Märkten und bei Festen auftraten. Wie auch heute, waren Kinder nicht die hauptsächliche oder ausschließliche Zielgruppe der Puppentheater, sie dürften aber schon immer zu den besonders faszinierten Zuschauern gehört haben. Historische Bildzeugnisse zeigen, dass erst seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert eine zunehmende Ausrichtung des Puppentheaters auf Kinder stattfand. Und erst um die Mitte des 20. Jahrhunderts gehörte ein Kaspertheater aus Handpuppen zum fast obligatorischen Inventar (klein)bürgerlicher Kinderzimmer.

Von Harlequin zu Hanswurst
Im 16. Jahrhundert kam – unter dem Einfluss der italienischen Commedia dell'arte die Festlegung der Puppen auf bestimmte Charaktere und Spielfiguren wie Arlecchino (Harlequin), Pantelone oder Pulcinella auf. Verballhornungen von Pulcinella führten in England zu Beinamen wie Punch, in Deutschland zu Putschenelle (Hamburg), Borzenelle (Hessen) oder Pritschenelle (München). In Deutschland wurde zur selben Zeit die Figur des Hans Wurst populär, eine Person, die als Narr nur Unsinn im Kopf hat, aber auch ein Spiegelbild der menschlichen Schwächen und Fehler abgibt und im Gewand des Narren ungestraft die Wahrheit sagen kann. Die respektlosen Possen dieser Figur mit ihrer sozialen und psychischen Ventilfunktion dürfte nicht unerheblich zu ihrer Beliebtheit beigetragen haben. Der Hans Wurst sah dem Volk nicht nur aufs Maul, er war auch Volkes Stimme. Sein
derbes, manchmal auch zotiges Auftreten führte im 18. und 19. Jahrhundert zu zahlreichen Aufführungsverboten und Zensureingriffen aus Angst der Obrigkeit vor der Aufwiegelung des gemeinen Volks. So erließ Metternich 1838 in ganz Österreich ein Verbot für Kasperbühnen.


Weiter zum Kaspertheater