Handpuppen Kasper und Krokodil, Inv-Nr. 0677

Kasperle und die Straßenabfallbeseitigungsmaschine - Hörspiel von Gerd von Haßler aus dem Jahre 1974, in dem sich Kasper als subversiver Kämpfer für die Umwelt einsetzt (Inv.-Nr. 0684)

„Pfaffe“, General und Monarch werden vom Kasper verprügelt. Illustration aus Hauser, Kaspar: Die entartete Prinzeß. Proletarisches Kasperle-Theater, Berlin 1922.

Kasperli als Schüler. Schallplatte aus der Schweiz mit Übungen für den Deutschunterricht, 1970er Jahre, Inv.-Nr. 0682

Kinder- und Puppentheater

Das Kaspertheater

In direkter Anlehnung an den barocken Hanswurst kreierte der Schauspieler Johann Joseph Laroche (1745 - 1806) die Figur des Kaspers in der Rolle eines Dieners. Er machte dies so hinreißend komisch, dass der Kasper rasch die humoristische Hauptfigur des Wiener Volkstheaters wurde. Ob der Name Kaspar (oder Kasper) von dem in Weihnachtsspielen auftretenden Caspar der Heiligen Drei Könige abgeleitet wurde, ist umstritten.
Der bayerische Hofbeamte Franz Graf von Pocci (1807-1867) verfasste Mitte des 19. Jahrhunderts für seinen Protagonisten
Kasper Larifari eigene märchenhafte Theaterstücke, die sich gleichermaßen an Erwachsene wie Kinder richteten.
In nahezu allen Ländern Europas gibt es kasperähnliche Figuren. In Holland heißt er Jan Klaassen, in Dänemark Mester Jackel, in England Punch oder Jack Pudding, in Frankreich Guignol oder Jean Potage, in Spanien Don Christobal oder Polichinela, in Russland Petruschka, in Tschechien Kasparek usw.
Sie alle kämpften mit frechem Witz, Bratpfanne und Pritsche bewaffnet nicht nur gegen Räuber, das Krokodil und den Teufel, sondern auch gegen die Obrigkeit.
Eine Besonderheit des Handpuppenspiels in früheren Zeiten war die Mitwirkung lebender Tiere auf der Bühne. In Frankreich war es meist eine Katze, in Böhmen waren es Meerschweinchen und in England biss der Hund Toby auf Kommando seine Kontrahenten in die Nase.

Gegen die Drastik und Respektlosigkeit des Kaspertheaters wurde auch im Namen des Jugendschutzes polemisiert; so erschien im Nördlinger Anzeigenblatt vom 26.6.1878 der folgende anonyme Aufruf:
"Angesichts der großen sittlichen Schäden, welche sich in unserem Volksleben zeigen, und zu deren Abstellung sich die Edelsten der Nation die Hände reichen, muß es den Jugend- und Vaterlandsfreund aufs Schmerzlichste berühren, wenn er sehen und hören muß, daß immer noch durch die schamlosesten Zoten bei öffentlichen Darstellungen das Volk und besonders die Jugend sittlich ruiniert wird. - Zu solchen darf man die neumodischen Kasperl-Theater mit ihren schlüpfrigen Witzen und ans Schamlose grenzenden Gebahrungen rechnen. Durch solche Vorstellungen wird in wenigen Minuten mehr verdorben, als Eltern und Erzieher in Jahren gut machen können. Wer sein Kind lieb hat, hält es ferne von solchen Lustbarkeiten. Mehrere Vaterlands- und Kunstfreunde." (zit. n. Sagemüller: Kunstreiter, Gaukler, Wasserspringer, S. 63)

Kasper als Pädagoge
Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die Kasperfigur von den Pädagogen als „Erzieher" entdeckt. Noch heute tourt der
Verkehrkasper als Protagonist eines „polizeilichen Präventionspuppenspiels" regelmäßig durch Kindergärten und
Grundschulen. 1921 bekam der Kasper seine uns heute vertraute Gestalt. Nach einem Entwurf von Max Jakob schuf der erzgebirgische Schnitzer Theo Eggnitz den Hohnsteiner Kasper, der rasch zum Zentrum eines festen Figurenensembles weiterer „Hohnsteiner Handpuppen" wurde (Seppl, Polizist, Großmutter, Räuber, Krokodil, Neger, Prinzessin u.a.). Diese Figuren stellen bis heute das Typenrepertoire der Spielzeughandpuppen für Kindergarten und Kinderzimmer.

Der Kasper im Dienste der Politik
Angesichts der anarchisch-rebellischen Züge der volkstümlichen Kasperfigur verwundert es nicht, dass sowohl die Arbeiterbewegung in Deutschland wie auch die Sowjets auf die Idee verfielen, sich dieser Figur für agitatorische Zwecke zu bedienen:
"Kasperl ist der Naturbursche, der Proletarier aus gesundem Instinkt; in seiner naiven Gutmütigkeit vertraut er den
reaktionären Gewalten erst blind, merkt aber bald, daß sie ihn betrügen und ausbeuterisch mißbrauchen; er setzt sich nun mit den Wahrheitsverdrehungskünsten auseinander und tritt dann entrüstet und kampffreudig für die also geschändete Wahrheit und Gerechtigkeit ein. Die Forderungen unserer proletarischen Weltanschauung empfindet er bald als Selbstverständlichkeiten (...)"
. (Hauser, Kaspar [Pseud.]: Die entartete Prinzeß, Berlin 1922)

Weniger bekannt sind die Bemühungen der Nationalsozialisten zur Schaffung eines linientreuen
(Kasper-)Puppenspiels, die 1938 in der Gründung des Reichsinstituts für Puppenspiele durch KdF (Kraft durch Freude), HJ (Hitler-Jugend), Reichstheaterkammer sowie dem Deutschen Gemeindetag und der Stadt Stuttgart gipfelten. Alte und neue Stereotypen des Kasperspiels („Neger", „Zigeuner" und insbesondere „der Jude", der als Verkörperung des Bösen das Krokodil ersetzte) wurden von den Nazis zur rassistischen und antisemitischen Agitation eingesetzt. In Stücken des Instituts wie Der Jude im Dorn (Autor Hermann Schultze) oder Kasper fährt nach Engelland von Hans Buresch kam diese zum Ausdruck.

Während des Zweiten Weltkriegs wurde das Puppenspiel sowohl von sowjetischer wie nationalsozialistischer Seite zur
„kulturellen Truppenbetreuung" eingesetzt. Die sowjetischen Armee-Agitationspuppentheater unterstanden dem Komitee für Kunstangelegenheiten des Rates der Volkskommissare der UdSSR.

Puppentheater heute
Einen vorerst letzten Höhepunkt erreichte das Puppenspiel für Kinder in der Bundesrepublik mit der Augsburger Puppenkiste und ihren seit den 1950er Jahren für das Fernsehen produzierten, meist mehrteiligen Stücken Urmel, Jim Knopf u.v.a. Der enorme Erfolg dieser Sendungen führte bei nahezu jeder Serie zu einem vielfältigen Medienverbund.
Auf dem Tonträgermarkt spielten Kasperstücke seit den 1920er Jahren eine bedeutsame Rolle, die seit den 1930er Jahren noch beträchtlich anwuchs. Bekannte und erfolgreiche AutorInnen und InterpretInnen waren in der Vorkriegszeit beispielweise Ilse Obrig und Liesel Simon, nach 1945 Ottfried Preußler, Gerd von Hassler und Max Kruse, in der Schweiz Jörg Schneider und Bernhard Huber.
Heute, in der Konkurrenz zu Benjamin Blümchen, Sponge Bob und Super Mario, ist der Kasper als „Verkehrs- und Polizeikasperl" im Dienste behördlicher Verkehrserziehung zu einer in Kindergarten und Grundschule beheimateten, bescheidenen und recht braven Randexistenz geworden.

Literaturhinweise

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