Junge mit Holmes-Stereoskop, Illustration von Norman Rockwell, 1922, (Inv.-Nr. 1278). Auf der Londoner Weltausstellung 1851 vorgeführt, löste das Holmes- oder amerikanische Stereoskop eine regelrechte „Stereomanie" aus.

Stereoskop nach Brewster

Holmes-Stereoskop aus Sammlung, Farbenphotographische Gesellschaft um 1920, Inv.-Nr. 0685

Sammelbild mit stereoskopischer Fotografie, 1920er Jahre, Inv.-Nr. 1128

Stereoskopie

“No home without a stereoscope“

(Werbeslogan der 1854 gegründeten London Stereoscopic Company)

Unter Stereoskopie versteht man die Gesamtheit von Verfahren zur künstlichen Erzeugung eines räumlichen, dreidimensionalen Seheindrucks beim Betrachten von Bildern. Im Gegensatz zu den zweidimensionalen Bildern nimmt der Mensch seine Umwelt durch seine zwei horizontal versetzt angeordneten Augen dreidimensional wahr: Die beiden jeweils zweidimensionalen Bilder eines jeden Auges werden im Gehirn zu einem räumlichen Seheindruck verschmolzen.
Mit den Grundlagen dieses Effekts beschäftigte sich bereits der griechische Mathematiker Euklid (4. Jh. v. Chr.). Der Durchbruch für eine wirtschaftlich-industrielle Nutzung des Stereoskopeffekts gelang aber erst 1838 dem Physiker Sir Charles Wheatstone, der Stereobilder anhand geometrisch berechneter Figuren zeichnete und einen Apparat zu ihrer Betrachtung konstruierte.

Der Engländer David Brewster konstruierte 1849 einen wesentlich handlicheren Betrachtungsapparat, bei man durch zwei Linsen auf zwei nebeneinander liegende Fotografien schaut.
Oliver Wendell Holmes konstruierte 1861 ein noch einfacheres (und damit preiswerteres) Stereoskop, bei dem der Betrachtungsabstand zum Bild auf einer Holzleiste variiert und somit die Schärfe individuell eingestellt werden konnte. Dieses "holmes’sche" Stereoskop wurde der Standard-Betrachtungsapparat der folgenden Jahrzehnte für Stereoaufnahmen.

Der Siegeszug der Stereoskopie als Massenmedium basierte zum einen auf dem unersättlichen Bildhunger der Menschen, zum anderen auf der verblüffend faszinierenden Wirkung des räumlichen Eindrucks, aber auch auf der Verbindung dieser Technik mit der neu entwickelten und mit spektakulärer Wirklichkeitstreue auftrumpfenden Fotografie. Die ersten stereoskopischen Fotos entstanden schon 1841 (noch vor der Entwicklung der zweilinsigen Stereokamera) und bereits 1860 wurden, allein in Europa, über eine Million Stereoskope (Betrachtungsgeräte) verkauft. Um die „Natürlichkeit“ des Eindrucks noch zu steigern wurden die Fotos vor der Erfindung der Farbfotografie of handkoloriert. Wie bei den Bildern der Laterna magica oder der neuen illustrierten Zeitschriften und wie bei den Motiven der Bilderbogen und Sammelbilder spiegelt die Fülle und Breite der Themen auch bei der Stereoskopie den kolonialen und enzyklopädischen Zeitgeist des 19. Jahrhunderts wider:
„Landschaften, Städtebilder und Ansichten berühmter Bauten anderer Kontinente, Bilder der Zeitgeschichte, Szenen aus dem Alltag und Bühnenbilder wechselten mit allegorischen und phantastischen Motiven. Mit humoristischen Sujets wurde das Ganze etwas aufgelockert, und vor dem Ins-Bett-Gehen durften die Kinder noch die Märchenszenen ansehen. Danach holte sich Papi das Stereoskop nochmals hervor und sah sich die neuesten Erotika-Bildpaare an.“
Tillmanns, Urs: Die Geschichte der Photographie, S. 191

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