Barocke Kulissenbühne

Kriegsinvalide als „Guckkästner“, Theodor Hosemann, um 1835

Faltbarer Guckkasten, der die erste Eisenbahnfahrt in Deutschland zeigt (1835). Inv.-Nr. 1347

Nachbau eines Polyorama-Guckkastens nach einem Original aus dem Deutschen Filmmuseum, Inv.-Nr. 1302

Der Guckkasten

Die Entwicklung des Guckkastens basiert im Wesentlichen auf drei Innovationen: der Entdeckung der Zentralperspektive in der Renaissance, der Camera obscura und der Kulissen- oder „Guckkastenbühne“ des Barocktheaters.

Die Guckkastenbühne
Bei dieser Bühnenform ist die Bühne durch eine Rampe („Proszenium“) und einen Portalrahmen mit Vorhang vom Zuschauerraum getrennt. Die Bühne ist zum Zuschauerraum hin offen und wird nach hinten durch zwei Seitenwände und eine Rückwand begrenzt, in denen durch eine Staffelung perspektivisch gestalteter Kulissen und Bühnenbilder die Illusion von Tiefe und Weite erzielt wird. Mit Hilfe einer aufwändigen Bühnenmaschinerie konnten Kulissen bewegt und durch Beleuchtung zusätzliche Wechseleffekte produziert werden.
Der Guckkasten als Betrachtungsgerät ist im Prinzip ein verkleinerter Nachbau dieser Kulissenbühne.
Allerdings ist auch die vierte, dem Zuschauer zugewandte Seite geschlossen. Sie hat ein oder mehrere Gucklöcher, die meist mit Vergrößerungslinsen, teils auch mit eingebauten Spiegeln ausgestattet sind. Neben dem räumlichen Eindruck können durch Schiebe- und Drehmechanismen, transparente Bilder, künstliche Lichtquellen und Beleuchtungsklappen zusätzlich Bewegungseffekte erzielt werden.
Vorläufer des Guckkastens waren so genannte „Bilder-“ und „Raritätenkästen“, wobei letztere vermutlich eher eine Art mechanisches Theater als Panoramen boten. Der panoramahafte, räumlich wirkende Szenerien bietende Guckkasten wurde rasch zu einer besonders bei Kindern und Jugendlichen beliebten Jahrmarktsattraktion.

Der nachhaltige Erfolg des Guckkastens dürfte vor allem dem Umstand geschuldet sein, dass es vor der Entwicklung der Stereoskopie kein anderes Betrachtungsgerät gab, das in handlichem Format mit künstlich geschaffenen Ansichten und Szenerien einen so faszinierenden Eindruck von dreidimensionaler Räumlichkeit vermitteln konnte.
Wie die Laterna magica war auch der Guckkasten zunächst ein Medium, das professionell von Wanderschaustellern („Guckkästnern“) gegen Entgelt mit erklärenden Kommentaren und zusätzlichen Attraktionen vorgeführt wurde und sich erst im 19. Jahrhundert zu einem privat-individuell genutzten Kinderspielzeug in begüterten Haushalten entwickelte.

Hauptattraktion eines Guckkastens sind die eigentlichen Guckkastenbilder bzw. deren Motive. Anfangs waren sie handgemalt, später wurden sie in hoher Auflage gedruckt und europaweit vertrieben. Häufige Motive waren Landschaften, Städteansichten, mythologische und biblische Szenen, spektakuläre historische Ereignisse, architektonische Sehenswürdigkeiten und technische Sensationen, aber auch aufsehenerregende Unglücke und Katastrophen – wie beispielsweise das Erbeben von Lissabon (1755). Für Illuminationseffekte eigneten sich besonders Feuersbrünste, Vulkanausbrüche und nächtliche Feste. Im 19. Jahrhundert wurden spektakuläre Reise- und Expeditionsdarstellungen beliebt.
Die jeweils beidseitig bedruckten, durchscheinenden Bilder werden je nach Stellung der Klappen mit Auflicht
oder Durchlicht erhellt, und zeigen dann jeweils die gleiche Ansicht entweder in Tagesbeleuchtung oder als Nachtansicht.
Auf den folgenden externen Seiten finden sich einige schöne Beispiele: Guckkastenbilder
Peepshow Changing views

Hauptzentren der Produktion von Guckkastenbildern waren im 18. Jahrhundert London, Paris, Bassano und im deutschsprachigen Raum Augsburg (der Kunstverlag von Martin Engelbrecht), im 19. Jahrhundert dann Berlin und Wien.
Wie die Laterna magica war auch der Guckkasten in einer Welt, in der nur eine verschwindende Minderheit reisen konnte, ein wichtiges Mittel der bildlichen Weltaneignung, ein frühes Massenmedium von beträchtlichem Unterhaltungs- und Bildungswert:

„Für die Jahrmarktbesucher waren sonst die Bilder in der Kirche die einzigen, die sie jemals zu sehen bekamen. Der Jahrmarkt gab ihnen eine einzigartige Gelegenheit, an andere Bilder zu kommen; der Zauber der im dunklen Kasten sichtbaren Welten musste auf die Betrachter eine besondere Anziehungskraft ausüben. Vor ihren Augen öffnete sich eine unbekannte, ferne und exotische Welt, sie konnten plötzlich Städte besuchen, von deren Existenz sie nicht einmal ahnten; sie kamen in die vor ihnen immer verschlossenen Gärten und Paläste hinein, sie sahen ungewöhnliche Landschaften am Ende der Welt, und sie waren Zeugen der zerstörerischen Kräfte der Natur. Und sie konnten auch eine belehrende oder aktionsreiche oder auch lustige Geschichte in Bild und Wort erleben.“ Sztaba, Die Welt im Guckkasten, S. 103

Literaturhinweise

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