Der kleine Papparbeiter, Anleitung zur Fertigung aller Art Papparbeit von Hugo Elm, Leipzig 1878

Originalgetreues Modell eines Kernkraftwerks auf 18 Modellbogen, 1980er Jahre, Inv.-Nr. 1299

Ausschneidebogen Junger Pionier, DDR 1950/60er, Inv.-Nr. 1282

Hund Lassie, Laubsägevorlage aus Sperrholz, 1950/60 Jahre (Inv.-Nr. 1296)

Ausschneidebogen

Ich hatte früh gelernt, mit Zirkel und Lineal umzugehen, indem ich den ganzen Unterricht, den man uns in Geometrie erteilte, sogleich in das Tätige verwandte, und Papparbeiten konnten mich höchlich beschäftigen. Doch blieb ich nicht bei geometrischen Körpern, bei Kästchen und solchen Dingen stehen, sondern ersann mir artige Lusthäuser, welche mit Pilastern, Freitreppen und flachen Dächern ausgeschmückt wurden; wovon jedoch wenig zustande kam. Johann Wolfgang von Goethe: Aus meinem Leben (1811)

Der Ausschneide- oder Bastelbogen aus Papier oder Karton dürfte zunächst ein Nebenprodukt des Papiertheaters und des Bilderbogens gewesen sein. Weitere Bezeichnungen sind Konstruktions-, Modellier-, Modell- oder Beschäftigungsbogen. Konzeptionell aber ist die Entstehung dieses Mediums der Pädagogik der Aufklärung und ihrem Bemühen um ein spielerisches Lernen „mit allen Sinnen“ – oder wie Johann Heinrich Pestalozzi es formulierte – um eine Wissensvermittlung mit „Kopf, Herz und Hand“ zu verdanken. Funktionell können Ausschneidebogen sowohl dem Bereich Lernen (s. Spielen/Lernen/Computer) wie dem spielerischen Basteln im Zuge der Entwicklung von Freizeitbeschäftigungen im 19. Jahrhundert zugerechnet werden. Bereits 1802 erschien von Heinrich Rockstroh das Anleitungsbuch: „Anweisung zum Modellieren aus Papier oder aus demselben allerley Gegenstände im Kleinen nachzuahmen. Ein nützlicher Zeitvertreib für Kinder.“ Typologisch gehört er im Gegensatz zum reinen (zweidimensionalen) Bilderbogen durch seine Dreidimensionalität, seine Bespielbarkeit und teilweise auch beweglichen Teile eher zu den bewegten Bildern.

Frühe kommerzielle Exemplare stammen aus der Zeit um 1830/40. Die Produzenten waren identisch mit den bekannten Bilderbogenfabriken in Épinal (Pellerin), Neu-Ruppin (Gustav Kühn, Oehmigke & Riemschneider und F. C. Bergemann) oder Weißenburg/Wissembourg (Wentzel). Der Anteil der „Modellier“- oder „Konstruktionsbogen“ (wie sie anfangs genannt wurden) war im 19. Jahrhundert dem der Bilderbogen wahrscheinlich mindestens ebenbürtig.

Da die Verfertigung der Ausschneideprodukte nur wenig Werkzeug (Schere, Messer, Klebstoff) und Geschicklichkeit verlangt, aus pädagogischer Sicht die Konzentration, Ausdauer und Feinmotorik fördert und zudem das Material relativ billig war, avancierte der Ausschneidebogen rasch zu einem beliebten Kindermedium. Für die Produzenten war der Ausschneidebogen ohnehin ein Glücksfall: Man konnte aus der Not eine Tugend machen, indem man das aufwändige Ausstanzen (und zum Teil auch das Kolorieren) der Figuren an die Konsumenten delegierte.

Im 19. Jahrhundert waren als Motive biblische und historische (bevorzugt militärische) Szenen, Krippen, Bauernhöfe mit Tieren, Zirkusszenen, Exotisches aller Art, Schiffe, Anziehpuppen, bewegliche Figuren (z.B. Hampelmänner, Ziehfiguren) und so genannte „Ofenbilder“ beliebt. Ofenbilder sind mechanische Modelle, bei denen, auf einem Ofen platziert, die aufsteigende Warmluft über ein Propellerrad bestimmte Teile in Drehbewegung versetzt. Einige schöne Beispiele hierfür finden sich auf der Webseite von Walter Ruffler.

Im Laufe des 20. Jahrhundert begannen dann technische Vehikel – vom Auto bis zum Raumschiff - das Themenspektrum zu dominieren. Wie sehr selbst ein Nischenmedium wie der Ausschneidebogen den Zeitgeist reflektieren kann zeigen zwei Beispiele aus unserer Sammlung, ein Atomkraftwerk (Inv.-Nr. 1299) und ein Ausschneideset zur Berliner Mauer (Inv.-Nr. 1298).

Vielleicht ist es kein Zufall, dass in der planwirtschaftlichen Mängelwirtschaft der DDR und Polens das Medium Ausschneidebogen – quasi als Ersatz für aufwändigere Produkte - besonders eifrig gepflegt wurde. Auffällig ist dabei die Dominanz militärischer Themen. (Dies gilt freilich ebenso für das Angebot des „westlichen“ [Plastik-]Modellbaus.)
Zu den führenden Modellbogenproduzenten der DDR gehörten der Verlag „Junge Welt“ und der „Deutsche Militärverlag“.

Seit der Mitte des letzten Jahrhunderts sind die Bastelbogen zunehmend vom Plastikmodellbau verdrängt worden. Durch die Möglichkeit des Internet-Downloads und die präzisere Konstruktion der Ausschneidebogen durch die CAD-Technik erlebte der Ausschneidebogen in den letzten Jahrzehnten eine gewisse Renaissance (allerdings eher bei älteren Jugendlichen und Erwachsenen). Nach wie vor sind die Bögen als billige Werbegeschenke (einzeln oder auf Verpackungen) und als Beilagen von Zeitschriften weit verbreitet. Insbesondere das Hampelmann-Motiv wird auch heute noch häufig für politische Propagandazwecke als Wahlkampfgeschenkartikel genutzt.

Laubsägebilder
Ein jüngerer Nebenzweig des Ausschneidebogens sind die Laubsägevorlagen aus dünnem Holz oder dickem Karton. Obwohl die Laubsäge seit Anfang des 16. Jahrhunderts für Intarsienarbeiten im Gebrauch war, wurde wahrscheinlich erst um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert daraus auch ein Hobby für Kinder.

Literaturhinweise

Zum Katalog